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Mindestlohn: Mehr Geld, aber auch weniger Probleme?

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Portemonnaie mit Münzen

Mit Update vom Februar 2021

Seit inzwischen mehr als fünf Jahren gibt es den Mindestlohn in Deutschland. Aktuell liegt er bei 9,50 Euro pro Arbeitsstunde. Los ging es 2015 mit einem verpflichtenden Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro, 2017 erhöhte er sich auf 8,84 Euro und 2019 stieg er weiter auf 9,19 Euro. Dafür, dass aber auch 2021 noch immer nicht jeder tatsächlich den Mindestlohn erhält, gibt es zwei Ursachen: Neben einzelnen Gruppen, für die der Mindestlohn nicht gilt (dazu später mehr), gibt es auch immer wieder Arbeitgeber, die versuchen, die gesetzlichen Vorgaben zu umgehen.

Der eigentliche Sinn eines Mindestlohns, dass Arbeitnehmer vor Ausbeutung geschützt sowie die Grundbedürfnisse und ein angemessener Lebensstandard der Berufstätigen gesichert werden, wird in der Praxis leider häufig ad absurdum geführt. Der Mindestlohn – ein zahnloser Tiger?

Neuer Mindestlohn: Wen er betrifft und wen nicht

Der Mindestlohn gilt ‚eigentlich‘ für jeden Arbeitnehmer in Deutschland – unabhängig von Tätigkeit, Branche oder geographischer Region. Das Gesetz sieht allerdings auch einzelne Gruppen vor, für die Ausnahmeregelungen gelten.* So ist es Arbeitgebern erlaubt, folgenden Personengruppen auch weniger als 9,350 Euro pro Stunde zu zahlen:

  • Minderjährige, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben
  • Auszubildende im Rahmen ihrer Berufsausbildung, auch wenn sie volljährig sind
  • Ehemalige Langzeitarbeitslose, aber nur während des ersten halben Jahres nach ihrer Arbeitslosigkeit
  • Praktikanten, wenn es sich um ein Pflichtpraktikum im Rahmen einer Ausbildung (Schule oder Hochschule) handelt
  • Praktikanten, die ein freiwilliges Praktikum von max. drei Monaten absolvieren, welches der beruflichen Orientierung vor Beginn einer Ausbildung dient
  • Jugendliche im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung zur Vorbereitung einer Berufsausbildung oder im Zuge einer anderen Berufsbildungsvorbereitung nach dem Berufsbildungsgesetz
  • Ehrenamtliche, die gemäß Definition keine Vergütung für ihre Tätigkeit, in Ausnahmefällen aber Auslagen erstattet bekommen

Gab es zur Einführung des Mindestlohns in Deutschland noch vereinzelte Branchen, die für eine Übergangszeit von der Regelung ausgenommen waren, müssen sich inzwischen ausnahmslos alle Wirtschaftsbereiche daran halten. Zudem gibt es einzelne Branchen, die in ihren Tarifverträgen abweichende, höhere Mindestlöhne festgelegt haben. Innerhalb dieser Branchen gelten diese dann auch für Betriebe, die nicht tarifgebunden sind.

Seit dem 01. Januar 2020 erhalten übrigens auch Auszubildende eine Mindestvergütung. Diese beläuft sich im ersten Ausbildungsjahr monatlich auf derzeit 515 Euro (Stand: 2020) brutto und soll jährlich steigen. Sie gilt allerdings nur für neu abgeschlossene Ausbildungsverhältnisse. Azubis, die vor 2020 ihre Lehre begonnen haben, profitieren also nicht von der neuen Mindestvergütung.

Mindestlohn: So versuchen Arbeitgeber zu schummeln

Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Boeckler-Stiftung, die Anfang 2018 veröffentlicht wurde und das Jahr 2016 analysiert und ausgewertet hatte, waren auch mehr als ein Jahr nach Einführung des Mindestlohns Schummeleien und Betrug an der Tagesordnung. Etwa jeder zehnte Arbeitnehmer wurde demnach unterhalb des vorgeschriebenen Mindestlohns bezahlt. Besonders viele Angestellte waren im Hotel- und Gaststättengewerbe (38 %) und im Einzelhandel (20 %) von unerlaubt geringer Bezahlung betroffen. Die Zahlen mögen sich seitdem verändert haben, beseitigt ist die Problematik aber ganz sicher nicht.

Beim Versuch, den Mindestlohn zu umgehen, greifen die Arbeitnehmer zu zahlreichen Tricks. So versuchen einige Unternehmen beispielsweise einen Teil des Lohns in Form von Gutscheinen auszuzahlen. Ob Kinos, die Filmgutscheine ausgeben, Verzehrgutscheine für Restaurantmitarbeiter oder Bräunungs-Coupons für Sonnenstudio-Angestellte – der Fantasie sind offenbar kaum Grenzen gesetzt. Im Sinne des Erfinders sind solche Ersatzleistungen selbstverständlich nicht. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) ist die Umgehung des Mindestlohns durch Sachleistungen illegal. Arbeitnehmer müssen selbst darüber verfügen können, wofür sie ihr Gehalt ausgeben. Der Mindestlohn von aktuell 9,50 Euro soll dazu führen, dass die Leistung von Arbeitnehmern besser entlohnt wird und somit die Berufstätigen mit ihrem Gehalt besser zurechtkommen. Kinokarten helfen dabei nicht weiter, denn Miete, Strom oder der Wocheneinkauf lassen sich damit nicht bezahlen.

Auch Taxifahrer müssen teilweise darum kämpfen, den aktuellen Mindestlohn für die geleistete Arbeitszeit zu erhalten. So wollten einige Arbeitgeber ihren Fahrern die Wartezeiten nicht (voll) bezahlen oder eine Vergütung dieser davon abhängig machen, dass alle drei Minuten ein Bereitschaftssignal gesendet wurde. Auch dies ist übrigens nicht rechtens.

Selbstverständlich können und sollten sich Arbeitnehmer gegen solche Versuche, den ihnen zustehenden Mindestlohn zu umgehen, wehren. Auf der anderen Seite schwingt bei vielen Angestellten, besonders im Niedriglohnsektor, die Sorge um den Arbeitsplatz mit. Diese könnte auch ein Grund dafür sein, dass Paketzusteller sich ‚freiwillig‘ bereit erklären, nicht nach gearbeiteter Zeit, sondern pro ausgeliefertem Paket bezahlt zu werden. Bei den viel zu knapp kalkulierten Auslieferungszahlen pro Stunde läuft dies allerdings mitunter auf deutlich weniger als den halben Mindestlohn hinaus. Arbeitnehmer sollten sich also nie auf eine rein erfolgsabhängige Bezahlung einlassen, sondern immer auch darauf achten, dass ihnen der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde sicher ist.

Gegen Maßnahmen wie die Kürzung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Arbeitspensum oder die Reduzierung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes, gekürzte Nachtzuschläge und weniger Zeit für die gleiche Anzahl an Zeitungen für Zeitungsboten ist es schon deutlich schwerer, sich zu wehren. Der DGB oder die einzelnen Gewerkschaften bieten sich in solchen Fällen als erster Ansprechpartner an.

Den häufigsten Betrugsversuch stellt wohl die falsche Dokumentation der Arbeitszeit dar. Dabei werden weniger Stunden aufgeschrieben und bezahlt als tatsächlich gearbeitet wurden. Solche Vergehen verfolgt, als zuständige Behörde für Schwarzarbeit, der Zoll. Werden Arbeitgeber beim Mindestlohnbetrug erwischt, drohen übrigens Strafen, unter anderem in Form von Bußgeldern. Eine Geldbuße bis zu 500.000 Euro ist laut Mindestlohngesetz möglich.

Hilfe und Rat zum Thema Mindestlohn

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eine Hotline eingerichtet, an die man sich mit Fragen zum Mindestlohn wenden kann. Hier gehen täglich mehrere hundert Anrufe ein. Zum Beispiel rufen Studierende an, die in den Semesterferien ein Praktikum absolvieren möchten. Ob ihnen die inzwischen 9,50 Euro Stundenlohn zustehen, ist mitunter auch Ermessenssache. Das Regelwerk für Praktikanten besteht aus vielen Ausnahmeregelungen und Einschränkungen, sodass hin und wieder nicht zweifelsfrei klar ist, um welche Art Praktikum es sich handelt und demnach, wie es zu vergüten ist. In aller Regel kann der Telefonservice des Ministeriums aber weiterhelfen – und wenn es manchmal auch nur in Form einer Empfehlung ist, wen man mit seinem individuellen Problem kontaktieren soll und kann.

Überforderung des Zolls – Mindestlohn lässt Schwarzarbeit ansteigen

Seit der Einführung des Mindestlohns ist das Zollamt stark beansprucht, denn die Schwarzarbeit steigt an. Betrogen wird besonders auf dem Bau, in der Gastronomie, im Hotelgewerbe und bei Speditionen. Tauchen Zollbeamte am Arbeitsplatz auf, müssen ihnen die Arbeitnehmer die Höhe ihrer Gehälter nennen. Da jedoch viele um ihren Job fürchten, wenn sie die Wahrheit sagen, werden die Zollbeamten häufig belogen.

Für den Zoll ist es somit nicht einfach, Schwarzarbeit nachzuweisen. So werden zwar Gehaltsabrechnungen beschlagnahmt und kontrolliert, doch dies hilft bei der Aufdeckung oftmals nicht weiter. Zum Beispiel kann es vorkommen, dass dem Mitarbeiter ganz offiziell das Gehalt für 40 Arbeitsstunden überwiesen wird, er jedoch einen Teil davon abheben und dem Chef zurückgeben muss. Die Kontrollen müssen verschärft werden und damit der Zoll nicht weiterhin überfordert ist, sollen weitere Kontrolleure eingestellt werden.

Mindestlohn in anderen europäischen Ländern

In den meisten Ländern der EU gibt es den Mindestlohn schon viele Jahre. Deutschland kann man in diesem Kontext getrost als ,Spätstarter' bezeichnen. Folgend sind drei Beispiele aufgeführt, wie der Mindestlohn in anderen Ländern geregelt ist:

  • In Frankreich wurde der Mindestlohn bereits 1950 eingeführt, aktuell liegt er bei 10,15 Euro pro Stunde.
  • Luxemburg hat bereits seit 1944 einen offiziellen Mindestlohn. Heute bekommen unqualifizierte Arbeitnehmer mindestens 12,38 Euro Stundenlohn, qualifizierte Beschäftigte erhalten sogar 20 Prozent mehr.
  • In den Niederlanden gibt es den Mindestlohn seit 1968. Er wird jedes halbe Jahr an die wirtschaftliche und tarifliche Entwicklung angepasst, ist nach Alter gestaffelt und in Form eines Monatslohns und nicht eines Stundenlohns festgelegt:
    • Der Mindestlohn für 15- bis 20-jährige Arbeitnehmer ist gestaffelt und bewegt sich zwischen 504 Euro (15-Jährige) und 1.344 Euro (20-Jährige).
    • Vollzeit-Arbeitnehmer ab einem Alter von 21 Jahren erhalten mindestens 1.680 Euro monatlich. Umgerechnet auf eine 40-Stunden-Woche entspricht dies einem Mindest-Stundenlohn von etwa 9,70 Euro. Bei Vollzeitbeschäftigung mit einer 36-Stunden-Woche erhöht sich der Mindest-Stundenlohn sogar auf 10,77 Euro. Diese Unterschiede ergeben sich aus der tariflich festgelegten Arbeitszeit.

Berufsgruppen, die häufig mit dem Mindestlohn auskommen müssen

Der Mindestlohn gilt berufs- und branchenübergreifend. Viele Branchen zahlen durch Tarifverträge sowieso mehr, aber besonders im Dienstleistungssektor, im Einzelhandel sowie im Hotel- und Gastgewerbe werden zahlreiche Angestellte nach Mindestlohn bezahlt. Für viele Angestellte der folgenden Berufe sorgt eine Erhöhung des Mindestlohns also direkt und unmittelbar für mehr Geld im Portemonnaie:

Durchschnittliches Bruttogehalt bei 40 Wochenstunden

Ausblick: So soll sich der Mindestlohn in den nächsten Jahren entwickeln

Obwohl die Mindestlohnkommission eigentlich im Zweijahresrhythmus über die Anpassung der Verdienstuntergrenze berät, dürfen sich Mindestlohnempfänger voraussichtlich bereits im folgenden Jahr über eine weitere Erhöhung freuen. Die Mindestlohnkommission hat am 30. Juni 2020 eine Empfehlung zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns in vier Schritten auf letztlich 10,45 Euro abgegeben.

Diese etappenweise Erhöhung sieht wie folgt aus: Am 01. Januar 2021 soll der Mindestlohn auf 9,50 Euro angehoben werden. Ab dem 01. Juli des gleichen Jahres soll er geringfügig um 10 Cent und somit auf 9,60 Euro erhöht werden. Am 01. Januar 2022 gibt es eine weitere Anpassung von 22 Cent pro Stunde auf 9,82 Euro. Letztendlich soll am 01. Juli 2022 in einem großen Schritt der Mindestlohn um 63 Cent erhöht und somit auf 10,45 Euro angehoben werden. Die Bundesregierung ist dieser Empfehlung gefolgt. Das ist eine positive Entwicklung für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die auf Mindestlohnniveau arbeiten.

Für viele ist dieser Betrag allerdings noch immer bei Weitem zu gering. So fordern beispielsweise die deutschen Gewerkschaften (DGB), Teile der SPD, der Grünen und der Linken bereits seit Jahren eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Arbeitsstunde. Trotz vieler Befürchtungen, insbesondere aus der Wirtschaft, sind die Ergebnisse der Forschung zum Mindestlohn national wie international eindeutig: Der Mindestlohn hat positive Lohneffekte, aber kaum negative Auswirkungen auf die Beschäftigung. Demnach sollten die Chancen gut stehen, dass der Mindestlohn in den nächsten Jahren weiter steigen wird.

 

Quellen:

arbeitsrechte.de

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Deutsche Handwerks Zeitung

Deutschlandfunk

DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund

MDR

Spiegel Online

SWR

Zeit Online

 

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