Serie „Work-Life-Balance“: Nur in digitalen Berufen?
Homeoffice, ortsunabhängiges Arbeiten, flexible Arbeitszeiten – die Berufswelt bietet heutzutage eine Menge Freiheiten, die früher nicht denkbar gewesen wären. Gleichzeitig bedeutet dies aber zahlreiche neue Herausforderungen für die Menschen, wenn es um die Vereinbarung von Beruf und Privatleben geht. Im ersten Teil dieser Artikelserie hatten wir uns mit dem Konzept „Work-Life-Balance“ beschäftigt. Nun wollen wir den Fragen nachgehen, ob diese Idee eigentlich nur in Bürojobs umsetzbar ist und ob mehr Freiheiten automatisch eine höhere Zufriedenheit bedeuten.
Große Unterschiede in der Praxis
Es ist keine überraschende Feststellung, dass Work-Life-Balance für Beschäftigte im handwerklichen oder sozialen Bereich etwas anderes bedeutet als für Berufstätige, deren Arbeitsgerät großteils der Computer ist. Eine Köchin oder ein Erzieher können zum Beispiel schlichtweg nicht oder nur in den seltensten Fällen an einem anderen Ort als üblich arbeiten, ihr Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung ist ebenfalls in der Regel gering. Wenn aber über Work-Life-Balance geredet wird, geht es oft darum, hin und wieder von zu Hause aus zu arbeiten oder die Arbeitszeit so anzupassen, dass mehr Platz für Familie und Privatleben bleibt. Ist die Diskussion überhaupt angemessen, wenn doch nur ein Teil der Bevölkerung so arbeitet? Und sind Beschäftigte mit einer Tätigkeit am Bildschirm da nicht klar im Vorteil?
Ein Blick in die Zukunft
Die Sache ist jedoch komplizierter. Das beginnt bereits bei der Frage, ob das Konzept „Work-Life-Balance“ nur für einen Teil der Bevölkerung infrage kommt. Die zunehmende Digitalisierung verändert gegenwärtig die Arbeitswelt radikal: Schon heute ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland in einem Beruf tätig, der vollständig oder zumindest teilweise digitalisiert ist, also am Computer ausgeübt wird. Prognosen gehen in die Richtung, dass die Entwicklung sich nicht nur fortsetzt, sondern dass nach und nach jede Menge „analoger“ Berufe sogar vollständig automatisiert werden können. Denken wir nur an Roboter im Gesundheitswesen oder selbstfahrende Züge. Laut Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) könnten rund 12 Prozent aller Jobs in den nächsten 10 bis 20 Jahren wegfallen, da sie leicht zu automatisieren sind.
Das bedeutet allerdings nicht, dass wir zwangsläufig einer hohen Arbeitslosigkeit entgegensteuern, denn auch Maschinen müssen bedient und künstliche Intelligenzen trainiert werden. Viele klassische Berufsbilder werden sich allerdings wandeln. Und damit wird das Thema „Work-Life-Balance“ in Zeiten der Digitalisierung auch für Menschen wichtiger, die bisher einen klassischen Acht-Stunden-Tag und somit nach Feierabend keinerlei Berührungspunkte mehr mit ihrer Arbeit haben.
Die Entwicklungen der Zukunft deuten sich heute bereits an: Nicht nur ist die Branche Informations- und Telekommunikationstechnik in Deutschland eine der wachstumsstärksten der vergangenen Jahre; auch die Computer- und Internetnutzung in den meisten anderen Berufen nimmt rasant zu. Im Jahr 2003 lag die Quote der Beschäftigten mit einem Computer-Arbeitsplatz noch bei 44 Prozent, zehn Jahre später bei 61 Prozent. Allerdings liegen (noch) Welten zwischen dem Dienstleistungssektor, der kaum noch ohne digitale Infrastruktur auskommt, und dem verarbeiteten Gewerbe.
Mehr Digitalisierung – mehr Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance?
Kommen wir zur Kehrseite der Entwicklung. Offensichtlich gehen eine stärkere Digitalisierung der Arbeitswelt und eine im Zuge dessen wachsende Flexibilisierung nicht direkt mit einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben einher, zumindest nicht in der Wahrnehmung der Menschen. Im Zeitraum von 2004 bis 2014 verschlechterte sich laut einer OECD-Umfrage die durchschnittliche Work-Life-Balance sogar, sowohl in Deutschland als auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern. Wie passt das zusammen?
Zum einen bedeuten die neuen technische Möglichkeiten zum ortsunabhängigen Arbeiten nicht automatisch, dass Arbeitgeber dies auch immer erlauben – Stichwort Präsenzkultur. Schließlich könnte die Produktivität bei fehlendem Austausch vor Ort sinken. Zudem gibt es in manchen – auch digitalen – Berufen rechtliche Hürden wie zum Beispiel das Thema Datensicherheit. Es scheint aber wenig realistisch, dass diese Faktoren noch allzu lange im Wege stehen, wenn die technische Entwicklung weiterhin derartige Sprünge macht wie bisher.
Die Herausforderungen der Flexibilität
Der wesentliche Grund für die gegenläufige Entwicklung von Flexibilisierung und Work-Life-Balance dürfte so einfach wie gravierend sein: Die wachsenden Möglichkeiten, seine berufliche Tätigkeit und Arbeitszeit flexibel zu gestalten, bedeuten nicht nur mehr Freiheit, sondern auch mehr Verantwortung und damit für viele Menschen eine höhere Belastung. Je häufiger Berufstätige ihre Arbeit mit nach Hause nehmen, desto mehr geht die Trennschärfe zwischen Arbeitszeit und Freizeit verloren. Zudem steigt im Falle häufiger Heimarbeit nach Feierabend das Risiko, krank zu werden, wie Psychologen der Universität Zürich herausfanden. Noch dazu kann eine regelmäßige Homeoffice-Tätigkeit zu Vereinsamung führen. Wer hingegen klassisch ausstempelt und keine Möglichkeit hat, noch etwas Berufliches nach Feierabend zu erledigen, schaltet offenbar leichter ab und erholt sich dementsprechend besser vom stressigen Arbeitstag.
Heißt das nun, die wachsende Flexibilität führt zu mehr Unzufriedenheit? Nicht automatisch, es kommen nämlich noch ganz andere Faktoren hinzu: Eine Umfrage unter Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzten zeigt, dass Klinikärzte ihren Beruf für sehr viel schlechter vereinbar mit dem Privat- und Familienleben halten als die in Praxen tätigen Kollegen. Der hohe Druck durch die Schichtarbeit im Klinikbetrieb, die wenig Planung zulässt, ist hier entscheidend. Offenbar ist der Arbeitsalltag eines niedergelassenen Arztes mit eigener Praxis und Verwaltungsaufgaben, die zu einem selbstgewählten Zeitpunkt und örtlich flexibel erledigt werden können, deutlich weniger belastend. Work-Life-Balance heißt nämlich nicht bloß Homeoffice und dann arbeiten, wie es gerade passt, sondern auch Planbarkeit und Rücksichtnahme auf die elementaren Bedürfnisse von Arbeitnehmern. Der Gesundheitssektor ist hier sicherlich kein leuchtendes Beispiel.
Work-Life-Balance neu denken
Die gegenwärtig noch gravierenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und Branchen im Hinblick auf die (scheinbaren) Gegensätze von Work-Life-Balance und Digitalisierung und Flexibilisierung könnten in naher Zukunft immer geringer werden – ganz auflösen lassen werden sie sich vermutlich aber nicht. Die Digitalisierung ist beides: Sie stellt in Teilen eine Herausforderung an die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben dar, bietet aber auch neue Möglichkeiten. Dass Flexibilität eben nicht nur Vorteile mit sich bringt, lässt den Schluss zu, dass wir über die Komplexe „Arbeit“ und „Privatleben“ vielleicht neu nachdenken sollten und sie weniger als Gegensatz begreifen. Um die Auflösung dieses Gegensatzes soll es im nächsten Teil dieser Serie gehen.
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Quellen:
Ärzteblatt
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