Serie „Work-Life-Balance“: Wenn Arbeit und Leben keine Gegensätze sind
Muss es denn „entweder – oder“ sein? Das Konzept „Work-Life-Balance“ geht davon aus, dass Arbeit und Leben große Unterschiede darstellen und man sie irgendwie miteinander in Einklang bringen muss. Vielleicht ist es aber an der Zeit, diese beiden Komplexe nicht mehr als Gegensätze zu begreifen. Im dritten Teil unserer Serie widmen wir uns dem sogenannten „Work-Life-Blending“, auch „Work-Life-Integration“ genannt – ein Alternativmodell zur Work-Life-Balance, das die Widersprüche zwischen beiden Endpunkten auflösen soll.
Die Prämisse hört sich doch schon sinnvoll an: Wir sollten aufhören, ständig zu versuchen, eine Balance zwischen Arbeit und Leben zu finden und uns dabei zerrissen zu fühlen. Denn wer nur den Feierabend, das Wochenende oder den Urlaub als Leben begreift, auf keinen Fall aber die Arbeit, hat vermutlich ein bedenklich negatives Verhältnis zu seinem Job. Wir verbringen schlichtweg zu viel Zeit mit dem Beruf, als dass wir ihn aus unserem Leben ausklammern könnten.
Und noch dazu sollten wir realistisch bleiben, denn die wenigsten Menschen widmen sich in üblichen acht Stunden im Büro ausschließlich beruflichen Dingen. Und wer sich halbwegs mit seinem Job identifiziert, denkt auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit mal an neue Lösungen für dienstliche Probleme. Ein bisschen Online-Shopping am Vormittag, dafür noch mal eine E-Mail am Wochenende beantworten – sehen wir das doch alles nicht so eng. Wir treffen uns zum Bier mit Arbeitskollegen, die vielleicht eh schon irgendwie Freunde sind; rekrutieren neue Mitarbeiter aus dem Bekanntenkreis oder bringen unsere Kinder in der Betriebskita unter. Und an einem Homeoffice-Tag gestalten wir unsere Arbeitszeit eh nach ganz eigenen Vorstellungen. Die Grenzen verschwimmen also mehr und mehr.
Trennschärfe zwischen Arbeit und Freizeit, was soll das sein?
Gerade „Millennials“, also die nach 1980 geborenen und häufig in digitalen Berufen beschäftigten Arbeitnehmer, können sich oft nur schwer vorstellen, dass Arbeit und Privatleben zwei einander abstoßende Pole sein sollen. Ob nun die Henne zuerst da war oder das Ei: Jedenfalls haben sich vor allem jüngere Unternehmen längst darauf eingestellt, dass heutzutage die Übergänge von Werktag und Feierabend fließender sind als früher. Symbol für diese Entwicklung ist der schon fast sprichwörtliche Kickertisch in Agenturen, der einen Hauch von lockerer Freizeit im Arbeitsumfeld schafft. After-Work-Events sind in modernen Firmen keine Seltenheit und auch Sportangebote in den Büroräumen tragen dazu bei, dass Mitarbeiter nicht nur ihre Arbeitszeit dort verbringen.
Die englischsprachige Welt hat für diese Vermischung von Beruflichem und Privatem eigene Begriffe. Diese lauten „Work-Life-Blending“ oder „Work-Life-Integration“, die weitgehend gleichwertig behandelt werden. Work-Life-Blending bzw. Work-Life-Integration bedeutet nichts weiter, als dass Arbeit und Leben miteinander verbunden werden, statt sie als Gegensätze ausbalancieren zu wollen. Die Schlagworte tragen der Tatsache Rechnung, dass die Verbindung von Beruflichem und Privatem oft eh schon Realität ist.
Wesentlich geprägt wurde der Begriff Work-Life-Blending vom Unternehmensberater und Autor Ron Ashkenas in einem Artikel für Forbes im Jahr 2012. Sein Erlebnis – eine Telefonkonferenz, bei der alle Teilnehmer aus dem Urlaub anriefen, ohne den Zeitpunkt zu hinterfragen – veranlasste ihn zu einem Artikel, in dem er fordert, Arbeit neu zu denken: „Vergesst die Work-Life-Balance, es ist Zeit für Work-Life-Blending.“ Mehr Ehrlichkeit und weniger Schuldgefühle sich dem einen zu widmen, während eigentlich gerade Zeit für das andere wäre, seien Ashkenas zufolge die logische Konsequenz.
Work-Life-Blending zwischen New Work und Arbeitgeberinteressen
Doch den Begriffen liegt auch etwas Ideologie zugrunde. Zum einen gehen nämlich die Wissenschaftler der „New Work“-Bewegung rund um den Philosophen Frithjof Bergmann davon aus, dass die „alte Arbeitswelt“ der Industriegesellschaft ausgedient habe. Die New Worker verfolgen das Ziel, die Arbeit vor allem an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten, die sie ausüben. Dieser sogenannten Humanisierung der Arbeitswelt könnten wir also mit der Aufweichung der Gegensätze von Arbeit und Leben näher kommen.
Auf der anderen Seite haben Arbeitgeber durchaus selbst ein Interesse daran, die Arbeitnehmer davon zu überzeugen, dass eine Work-Life-Balance gar nicht so wichtig sei und wir alles nicht so eng sehen müssten. Wer länger in der Firma bleibt, sei es zum Sport treiben oder zum Feierabendbier, nimmt die Büroräume vielleicht irgendwann als eine Art zweites Zuhause wahr und stört sich weniger daran, mal länger zu arbeiten. Ein perfider Plan der Arbeitgeber?
Kritik an der Vermischung von Arbeit und Privatleben
Auch ohne eine großangelegte Verschwörung zu wittern: Das Konzept Work-Life-Blending / Work-Life-Integration steht durchaus in der Kritik. So hat es Studien zufolge negative gesundheitliche Folgen, wenn Menschen Arbeit mit nach Hause nehmen oder nach Feierabend in Bereitschaft verharren, zum Beispiel um Anrufe entgegen zu nehmen.
Flexibilität an sich ist allerdings nicht grundsätzlich schädlich. Auf die Gesundheit hat es erwiesenermaßen positive Auswirkungen, wenn Arbeitnehmer in der Lage sind, die Zeitpunkte für Arbeitsbeginn und Feierabend selbst zu bestimmen, also die Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung haben. Damit muss zwar noch keine Vermischung von Job und Freizeit einhergehen, doch in manchen Fällen kann selbst das förderlich für die (seelische) Gesundheit sein. Wer wichtige Aufgaben am Wochenende abschließt, um sie nicht unerledigt vor sich her zu schieben, schaltet danach zuweilen besser ab und startet erholter in die neue Woche, wie eine Studie von Psychologen der Universität Rostock ergab.
Das ändert nichts daran, dass Work-Life-Blending ein Imageproblem hat. Umfragen zufolge stehen jedenfalls die meisten Arbeitnehmer dem Thema skeptisch gegenüber und befürchten, dass das Privatleben darunter leidet, wenn es sich mit der Arbeit vermischt.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Buchautor Christian Scholz, ein scharfer Kritiker der Verschmelzung von Arbeit und Privatleben, sieht übrigens das Konzept Work-Life-Blending / Work-Life-Integration schon wieder mehr oder weniger am Ende. Seine These: Die jüngsten Arbeitnehmer der Generation Z, die nach 1995 geboren sind, seien viel mehr auf Sicherheit und Struktur bedacht als ihre Millennial-Vorgänger. Sein Plädoyer für eine strikte Trennung zwischen Job und Freizeit klingt somit gleichzeitig altmodisch wie modern.
Und was ist nun richtig, was ist falsch?
Die mitunter leidenschaftlich geführte Debatte um Work-Life-Balance und Work-Life-Blending zeigt vor allem eines: Verunsicherung. Der rasante Wandel der Gesellschaft durch die Digitalisierung, der auch auf unsere Arbeitswelt gravierende Auswirkungen hat, verlangt uns einiges ab. Die gewonnene Freiheit (die nebenbei längst nicht jedem Beruf im gleichen Maße zugutekommt) setzt ein hohes Maß an Verantwortung voraus. Mit der Zeit zu gehen und dabei Wege zu finden, die Chancen der vernetzten Welt zu nutzen und gleichzeitig die Risiken der Veränderungen zu minimieren, ist unser aller Aufgabe.
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Quellen:
Capital
Deutsche Gesellschaft für Psychologie
Forbes
Wirtschaftswoche
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