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Anonyme Bewerbung – sinnvoll oder überflüssig gegen Diskriminierung?

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Kandidaten beim anonymen Bewerbungsverfahren

Bei Bewerbungen auf Arbeitsstellen kommt es immer wieder zu Diskriminierungen verschiedenster Art – auch heute noch. Seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, in Kraft trat, ist zwar einiges passiert, oftmals aber nur auf der formalen Ebene. Denn viele Diskriminierungen passieren un- und unterbewusst. Eine Maßnahme, die diese Situation verbessern soll, ist das anonymisierte Bewerbungsverfahren. Doch was sind anonymisierte bzw. anonyme Bewerbungen eigentlich genau? Was wird dabei angegeben und was weggelassen? Wie verbreitet ist diese Art des Erstkontakts? Und wann ist eine Inkognito-Bewerbung überhaupt sinnvoll? Diese Fragen und weitere mehr klären wir hier.

Diskriminierungen im Bewerbungsprozess

Abgesehen von offensichtlichen Diskriminierungen bei Bewerbungsgesprächen werden viele Menschen bereits im ersten Bewerbungsschritt diskriminiert, also bevor es überhaupt zu einer Einladung zum Vorstellungsgespräch kommt. Oft bekommen Bewerber und Bewerberinnen dies gar nicht mit und häufig geschieht diese Diskriminierung auf Unternehmensseite unbewusst.

Verschiedene Studien und Versuchsprojekte lassen den Schluss zu, dass Faktoren wie Geschlecht, Alter sowie kultureller und religiöser Hintergrund bedeutenden Einfluss auf die Erfolgsquote von Bewerbungen haben. Bei identischer Qualifikation, Ausbildung und Berufserfahrung wurden einige Gruppen im Schnitt öfter zu Vorstellungsgesprächen eigengeladen als andere:

  • Männer öfter als Frauen
  • Kandidat/-innen mit deutsch oder westlich klingenden Namen häufiger als vermeintliche Ausländer/-innen
  • Frauen mit Kopftuch auf dem Foto seltener als Frauen ohne

Die Tatsache, dass diese Diskriminierungen ganz zu Beginn eines Bewerbungsprozesses stattfinden, nimmt vielen Menschen die Möglichkeit, in einem persönlichen Gespräch von sich und den eigenen Fähigkeiten zu überzeugen. Und genau diesem Missstand sollen anonyme Bewerbungen entgegenwirken. Denn dann bekommen Bewerberinnen und Bewerber erst im zweiten Bewerbungsschritt, dem Vorstellungsgespräch, ein Gesicht, einen Namen, ein Geschlecht etc. Wenn sie bis dahin jedoch schon gekommen sind, haben sie zumindest die Möglichkeit, den potentiellen Arbeitgeber von Angesicht zu Angesicht zu überzeugen.

Wie sieht eine anonyme Bewerbung aus?

Die radikalste Form der anonymen Bewerbung verzichtet auf die Angabe jeder Information, die Rückschlüsse auf eine individuelle Person zulässt. Das bedeutet, dass nicht nur Name und Foto weggelassen werden, sondern auch Angaben wie Geburtsdatum, Adressdaten, Familienstand, Interessen und Sprachkenntnisse (falls sie nicht explizit für die entsprechende Stelle erforderlich sind). Eine biografische Station wie der Wehrdienst bleibt ebenfalls unerwähnt, da sie das Geschlecht des Bewerbers verraten kann. Berufserfahrungen und Qualifikationen sind selbstverständlich nach wie vor Teil der Bewerbung, schließlich sollen sie alleinige Grundlage für eine Einladung zum Kennenlerngespräch oder eine Absage sein. Aber auch diese Angaben werden anders als üblich dargestellt: Jahreszahlen, die Aufschluss über das Alter der oder des sich Bewerbenden geben könnten, werden nicht genannt, stattdessen werden nur Zeiträume angegeben. Allerdings können auch diese selbstverständlich eine Aussage über das Alter machen, zumindest grob.

Neben dieser vollanonymisierten Variante gibt es auch Abstufungen, in denen nur Teilaspekte wie zum Beispiel das Foto oder der Name fehlt. Dabei gilt: Je mehr Persönliches weggelassen wird, desto fairer soll die Entscheidung über eine Einladung zum Vorstellungsgespräch vonstattengehen.

Wie verbreitet sind anonyme Bewerbungen?

Deutschland ist in Sachen anonymisierter Bewerbungen ein Entwicklungsland – mit großem Rückstand. Während in den USA, in Kanada und auch in Großbritannien diese Art der Bewerbung längst Standard ist, setzt in Belgien immerhin der öffentliche Sektor konsequent darauf. Neben Ländern wie der Schweiz, Schweden und Frankreich gab es auch in Deutschland bereits offiziell initiierte Versuchsprojekte zur Inkognito-Bewerbung, allerdings ohne große Nachhaltigkeit. Bereits 2010 bis 2011 testete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit acht Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen ein Jahr lang die anonymisierte Bewerbung. Lediglich die Stadtverwaltung Celle und das Bundesfamilienministerium sind dabei geblieben; alle weiteren Teilnehmer, darunter große Konzerne wie Procter & Gamble, die Deutsche Post oder die Deutsche Telekom sind inzwischen wieder zur gängigen personalisierten Bewerbung zurückgekehrt.

In ganz Deutschland ist lediglich ein privatwirtschaftliches Unternehmen bekannt, das ein anonymes Bewerbungsverfahren nutzt – Bürkle + Schöck, ein baden-württembergischer Mittelständler aus dem Bereich der Elektrotechnik. Siemens erwartet zumindest kein Foto, da es nichts über die Qualitäten der Bewerber und Bewerberinnen aussagt. Die Personalleitung des Konzerns berichtet aber, dass der Großteil der Bewerbungen nach wie vor ein Lichtbild enthält – die Deutschen sind es einfach so gewohnt.

Kritik und Zweifel an anonymisierten Bewerbungen

Zusätzlicher Verwaltungsaufwand ist ein Argument, das immer wieder auftaucht, wenn es um die Frage geht, warum Unternehmen kein anonymisiertes Bewerbungsverfahren nutzen. Das mag zwar stimmen – schließlich benötigt man je nach System entweder Mitarbeiter, die eingehende Bewerbungen anonymisieren oder solche, die nach der Entscheidung über einzuladende Kandidaten und Kandidatinnen die notwendigen persönlichen Daten anfordern und zusammenführen – ist aber kein inhaltliches, sondern ein rein formales Argument.

Kritiker der anonymisierten Bewerbung befürchten, dass dieses Verfahren dazu führen könnte, dass sich Menschen mit stringenten Lebensläufen in der ersten Bewerbungsphase noch mehr durchsetzen als eh schon. Schließlich fehle Personen mit vom Idealbild abweichenden Lebensläufen, die möglicherweise auch von der Norm abweichende Qualitäten ins Unternehmen bringen könnten, die Gelegenheit, sich und ihre Persönlichkeit im ersten Bewerbungsschritt zu präsentieren. Den zweiten Bewerbungsschritt, der ihnen dies ermöglichen würde, erreichen sie in diesem Szenario erst gar nicht. Anonymes Bewerben fördere also die Uniformität der Mitarbeiter und nicht wie eigentlich gewünscht die Vielfalt, so die Kritiker.

Viele Firmen erkennen keinen entscheidenden Vorteil bei der Anonymisierung. Sie schreiben sich selbst auf die Fahnen, auch beim nicht anonymisierten Verfahren auf Vielfalt zu achten und Vorurteile sowie Klischees außen vor zu lassen. So haben z. B. auch Teilnehmer des Pilotprojekts wie die Post oder die Telekom keine signifikanten Unterschiede bei der Bewerberauswahl feststellen können. Manche argumentieren gar, die anonymisierte Bewerbung mache es ihnen schwerer, vielfältig einzustellen, da Fakten wie beispielsweise Zeugnisnoten ohne den entsprechenden Kontext nicht aussagekräftig seien. So hat z. B. eine 4 in Deutsch bei einem deutschen Muttersprachler eine andere Aussage als bei jemandem, der erst seit ein paar Jahren Deutsch lernt.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die anonyme Bewerbung sei lediglich eine Antwort auf Symptome, vernachlässige aber die Ursachen. Denn das Problem, die Vorurteile, werde so nicht gelöst, sondern nur umgangen.

Nur ein mögliches Instrument: Fazit und Aussichten

Klar: Das Ziel muss es sein, Vorurteile generell zu beseitigen. Da es sich aber meist um unbewusste Vorurteile handelt, steigert die anonyme Bewerbung die Chancen von diskriminierungsgefährdeten Gruppen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, teils deutlich. Einzelne Unternehmen mögen ihre Personaler und Personalerinnen soweit sensibilisiert haben, dass Vielfalt gesucht wird und nicht-lineare Lebensläufe als potentiell bereichernd angesehen werden, viele Firmen mit Sicherheit aber auch nicht. Vor bewussten Ausgrenzungen wird diese Methode selbstverständlich nicht bewahren, denn wer Migranten, Frauen oder Ältere grundsätzlich nicht einstellen möchte, sortiert diese halt dann im zweiten Schritt des Bewerbungsverfahrens aus, also während des Interviews. Unbewusste Diskriminierungen lassen sich aber mit Sicherheit reduzieren.

Anonyme Bewerbungen können allerdings nur dann funktionieren, wenn sich auf eine bestimmte Stelle alle anonym bewerben und wenn der Arbeitgeber dem offen gegenübersteht. Wer sich auf ‚regulär‘ ausgeschriebene Stellen anonym bewirbt, wird seine Chancen, zu einem Gespräch eingeladen zu werden, ganz sicher verringern. Und besonders bei Initiativbewerbungen kommt es darauf an, sich als Persönlichkeit mit den ganz eigenen Qualitäten zu präsentieren. Eine Bewerbung, die lediglich mit ihren anonymisierten Erfahrungen und Kenntnissen daherkommt und dabei nicht auf ein konkretes Suchprofil trifft, muss zwangsläufig ins Leere laufen.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist ganz offenbar noch weit davon entfernt, Bewerbungen flächendeckend anonym durchzuführen. Denn solange die Arbeitgeberseite darin keine entscheidenden Vorteile sieht und sie nicht durch Regularien dazu verpflichtet ist, wird sich an der Bewerbungspraxis hierzulande wenig ändern.

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Quellen:

Deutschlandfunk Online
FAZ.net
n-tv online
Spiegel Online
Sueddeutsche.de